Das ungekürzte meier-Interview mit Frank Zumbruch

Frank Zumbruch hat schon einiges mit auf die Beine gestellt: das Netzwerk komplizen.com und das Barcamp Kreativregion Rhein-Neckar als offene Konferenz der regionalen Kreativwirtschaft. Außerdem arbeitet er gemeinsam mit Kollegen intensiv daran, dass aus der Metropol- eine Kreativregion wird. MEIER sprach mit ihm über diese Pläne, ihre Realisierung und die Situation in Heidelberg.

Frank Zumbruch, fotografiert von Daniel Obradovic

Foto: Daniel Obradovic

meier: Frag nicht, was die Region für dich tun kann, frag, was du für die Region tun kannst. So steht es auf der Homepage kreativregion.de. Ziemlich idealistisch für einen Zusammenschluss von Kreativen, oder?

Zumbruch: Ist vielleicht idealistisch, ja. Vor allem ist es konstruktiv. Ich denke überall da, wo es eine ausgeprägte Förderstruktur gibt, versiegt auch ein bisschen der Quell der Eigeninitiative. Und darum geht es in dem Zitat: Dass man sich auch in einer solchen Situation nicht zurücklehnt, sondern eine gewisse Balance sucht.

meier: Und welche Rolle spielen dabei die von Ihnen mitbegründeten „komplizen.com“ oder die „Barcamps“?

Zumbruch: Wir wollten keinen Verein oder noch eine weitere Initiative gründen, sondern das Ganze lieber von Innen heraus angehen, als Zusammenschluss und Netzwerk von Kreativen eben. Bei den Barcamps ist es sogar so, dass wir als Initiatoren gar nicht so sehr in Erscheinung treten, zumindest auf der Homepage. Das machen wir bewusst so. Wenn du die Kreativen in der Region an einem Prozess beteiligen willst – gerade wenn es z.B. um die Kommunikationsbranche geht – solltest du schauen, dass du dich nicht selbst in den Vordergrund spielst. Es geht darum, dass wir alle zusammen für etwas stehen und etwas erreichen wollen und nicht, eine Werbeveranstaltung in eigener Sache zu lancieren.

meier: Aber ist da Baden-Württemberg und speziell die Region hier in Sachen Kreativwirtschaft eigentlich nicht ein bisschen hinten dran? Immerhin hat Nordrhein-Westfahlen schon in den 1990ern, Sachsen 2001 und Hessen 2003 die Kreativwirtschaft als Jobmotor erkannt.

Zumbruch: Natürlich war das Ruhrgebiet in Sachen Kreativwirtschaft deutlich früher am Start. Das Bundesland ist seit Jahrzehnten wirtschaftlich im Umbruch und ist auf der Suche nach seinen zukunftsfähigen Stärken schon lange auf die Kreativwirtschaft gestoßen. In Köln und Düsseldorf oder Essen ist traditionell sehr viel Kreativwirtschaft ansässig. Das wurde seitdem eben gebündelt. Die haben es auch als erste geschafft sich als Oberzentren zu vernetzen und ihren Antrag zur Vergabe der Kulturhauptstadt als Region zu formulieren. Das hätte man meines Erachtens mit der Metropolregion Rhein-Neckar genauso tun sollen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Grundsätzlich waren es wohl mal wieder die US-Amerikaner, die die Kreativwirtschaft als wichtigen Standortfaktor erkannt haben. Sicherlich hat Richard Florida mit „The Rise of the Creative Class“ und den Folgewerken sehr viel dazu beigetragen. Ich wundere mich immer noch, dass bisher niemand seine Bücher ins Deutsche übersetzt hat.

meier: Fokussierung scheint auch ein wichtiges Thema zu sein, bei der Förderung von Kreativwirtschaft. In Mannheim will man sich zum Beispiel auf die Schwerpunkte Musik- und Filmwirtschaft konzentrieren. Ist das sinnvoll?

Zumbruch: Gehen wir mal von der Idee aus, dass wir es tatsächlich schaffen, dass diese Region
als Kreativwirtschaftsstandort bundesweit und darüber hinaus ernst genommen wird. Das ist ja der Ansatz, den wir auch mit kreativregion.de verfolgen. Sollten wir da Erfolg haben, halte ich es für essentiell wichtig, dass sich die einzelnen Städte und Kommunen innerhalb der Region spezialisieren. Nicht jede Stadt hat die gleichen guten Chancen auf jedem Gebiet. Mannheim hat das mit der Popmusik vorgemacht.

meier: Wie kommt denn eine solche Schwerpunktsetzung zustande?

Zumbruch: Durch die Menschen, die hier leben und arbeiten. Und durch die einzelnen Initiativen, die sich daraus entwickeln. Es geht nicht darum, etwas künstlich aus der Retorte zu schaffen. Nehmen wir mal Heidelberg: Es gibt nirgends in Deutschland im Verhältnis zur Einwohnerzahl so viele Autoren, Verlage, Buchhandlungen und Antiquariate. Ich finde, man muss deutlich machen, dass wir hier die Literaturhauptstadt sind. Daran lässt sich mit vielen Branchen, die mit der Verlagswirtschaft verwandt sind, andocken. Gestalter, Buchbinder, Druckereien etc. Wenn man sich hier positioniert, kommt die Förderung von ganz allein, sowohl in der Wirtschaft als auch der Kultur.

meier: Wie sieht es denn aus mit Kreativwirtschaftsförderung in Heidelberg?

Zumbruch: Mein Eindruck ist, dass man sich von Seiten der kommunalen Wirtschaftsförderung noch etwas in diese Thematik einarbeiten muss. Grundsätzlich werden einfach noch zu viele Dinge durcheinander geworfen. Was ist Kreativwirtschaft, wie definieren wir sie hier? Was bedutet die kreative Klasse, welche Rolle spielt die Kultur…? Wenn etwas gefördert werden muss in Heidelberg, dann ist es Raum für kreatives Handeln. Kreativität an sich kann man nicht fördern, aber die Rahmenbedingungen. Und da hapert es noch gewaltig. Wir haben relativ hohe Mieten, das ist bekannt. Und wir haben im Moment noch relativ wenig Platz. Da wird sich aber sicherlich mit der Bahnstadt und den US-Kasernen, die nach einem Abzug der Amerikaner leer stünden, einiges tun. Die Schaffung von Raum, das ist ein ganz klarer Ansatz, den ich für wichtig halte. Glücklicherweise ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit von kreativen Freiräumen in der Stadt, mittlerweile auch von Seiten der Verwaltung und des Gemeinderates da. Für diese Sensibilisierung hat man sich teure Gutachten geleistet. Gutachten, die ortsansässige Unternehmensberatungen übrigens noch fundierter und schlüssiger hätten erarbeiten können. Daran wollen wir eben arbeiten, dass man aus Prestige-Gründen nicht mehr auf Anbieter aus Hamburg, Düsseldorf oder Frankfurt angewiesen sein muss.

meier: Gibt es schon ein konkretes Beispiel für sog. „kreative Freiräume“ in Heidelberg?

Zumbruch: Zum Beispiel die Alte Tabakfabrik Landfried, wo es von Seiten der Besitzer die Absicht gibt, Kreativwirtschaft anzusiedeln.

meier: Und wie könnte die städtische Förderung dann aussehen?

Zumbruch: Das halte ich ehrlich gesagt für äusserst schwierig. Dass die Stadt solche Vorhaben unterstützen will, scheint mir sicher zu sein. Über den Ansatz, die Mieten zu bezuschussen, wird bestimmt auch nachgedacht. Schwierig ist es aber, eine Privatinitiative, die das Landfried ja ist, finanziell zu bezuschussen, ohne Einfluss auf die Mieterklientel zu haben. Was passiert zum Beispiel, wenn der Eigentümer Mieter in den Komplex nimmt, die wirtschaftlich keine Förderung mehr benötigten, weil sie schon etabliert sind, die dem Ganzen aber gut tun würden, weil sie eine gewisse Sogwirkung auf andere haben. Das ist also nicht so ganz einfach. Fakt ist, dass es durchaus politische Strömungen gibt, die sagen, nicht nur der Landfriedkomplex, sondern das gesamte umliegende Areal, könnte zu einem riesengroßen Kreativzentrum werden. Die Stadt könnte dafür z.B. einen Quartiermanager einsetzen, der das Wachstum kontrolliert. Solche Gedanken gefallen mir persönlich überhaupt nicht, da ich der Meinung bin, dass man da ruhig ein bisschen Wildwuchs zulassen sollte. Ein Mix aus Kreativ- und Kulturwirtschaft neben Kunst und freier Kreativität.

meier: Aber reichen denn Gründungsförderung, Zuschussprogramme, Sonderkredite und verbilligte Mieten aus, um einen Kreativstandort zu schaffen. Muss man nicht eigentlich damit anfangen, die Wertigkeit von Kreativität wieder bewusster zu machen?

Zumbruch: Im Moment wird mit der Kreativwirtschaft eine weitere Sau durchs Dorf getrieben. Die Öffentlichkeit stürzt wegen der hohen Kennzahlen auf die Kreativwirtschaft und weil es sehr viele Beschäftigte in diesem Wirtschaftszweig mit enormem Wachstumspotenzial gibt. Das liegt aber daran, dass die Kreativwirtschaft aus so vielen unterschiedlichen Branchen besteht. Diese Heterogenität bedingt aber – und das wird oft und gerne vergessen – dass wir es in der Kreativwirtschaft mit sehr prekären Zahlen zu tun haben. Wenn es um Kranken- und Altersversorgung geht, um die Höhe der Gehälter, um Arbeitsbedingungen. Da sind wir mit der Kreativwirtschaft auch mal am unteren Ende der Skala. Denn neben den vielen Erfolgreichen gibt es dort eben auch sehr viele kleine Überlebenskämpfer.

meier: Das realistische Ziel wäre das, dass es gelingt, das kreative Potenzial in der Region zu halten und nicht nach München, Berlin oder Hamburg ziehen zu lassen? Oder geht es langfristig sogar darum, so viel Ausstrahlungskraft als Standort zu erreichen, dass die Kreativen hier herkommen, um etwas aufzubauen?

Zumbruch: Im Grunde stecken da jetzt mehrere Ansätze drin, die alle richtig sind. Zum einen die Erkenntnis, dass die Kreativwirtschaft einen wichtigen Standortfaktor ausmacht. Dass es für jede Region wichtig ist, Kreativität zuzulassen, weil natürlich erwiesen ist, dass die wirklich guten Köpfe aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur nur dann in eine Stadt kommen, wenn sie ein entsprechendes lebenswertes Umfeld vorfinden. Sowohl kulturell als auch in Form einer gewissen Toleranz, die eben viel Kreativität zu lässt. Zum zweiten geht es darum, eine Stadt bzw. eine Region wirklich konkurrenzfähig zu machen. Wie schon gesagt: es ist bitter, wenn man große Konzerne vor Ort hat, die glauben, ihre Agenturen immer noch in Frankfurt, Düsseldorf oder im Ausland haben zu müssen. Es gibt hier sehr, sehr viele gute Leute in der Region. Drittens die Nachwuchsförderung: Das ist eine allgemeine Herausforderung, im Sport genauso wie in der Kultur oder eben der Wirtschaft. Es wird ein toller Nachwuchs herangezogen, aber es ist nicht automatisch so, dass er in der Region bleibt. Dieses Risiko muss man aber einfach gehen. Leute, die hier in der Region gefördert werden, sollen natürlich die Möglichkeit haben sich draußen in der Welt die Sporen zu verdienen. Das ist ja gerade in der Kreativwirtschaft das Wichtige, nicht im eigenen Saft zu kochen, sondern raus zu gehen in die Welt. Aber vielleicht kommen diese Leute ja wieder. Und vielleicht kommen sie nicht erst im Rentenalter wieder, sondern schon, um sich hier selbständig zu machen.

meier: Sie verwenden statt Metropolregion gerne den Begriff Kreativregion. Wo steht sie denn, die Kreativregion?

Zumbruch: Kreativregion steht zunächst mal für unsere Metropolregion als ein Kreativwirtschaftstandort, der sehr facettenreich ist. Wir haben sehr viele gute Leute an den verschiedensten Orten in der Region. Diese Vielfalt gilt es zu ordnen und stark zu machen, um diese Region als Wirtschaftsstandort konkurrenzfähig zu machen. Dazu gibt es verschiedene Initiativen, die daran arbeiten, und es sollen sich ruhig weitere gründen. Wir von kreativregion.de wollen dazu kleine Impulse geben. Das ist uns wichtig. Ob in Form von regelmäßig stattfindenden Webtalks, öffentlichen Podiumsdiskussionen, regelmäßig stattfindenden Barcamps oder anderen Veranstaltungsformaten. Wir wollen Netzwerkarbeit ermöglichen, um vor allem neue Ideen zu entwickeln und dann auch zu verwirklichen.

meier: Netzwerken hat ja ohnehin in der Kreativbranche große Bedeutung.

Zumbruch: Netzwerken ist schon lange das A und O und wer könnte es besser als wir Kreativen. Wir Komplizen haben es mit unserem Netzwerk schon vorgemacht – und sind dafür ja auch mehrfach ausgezeichnet worden. Aber ein geschlossenes Netzwerk wie das der Komplizen ist die eine Sache. Was in dem Zusammenhang noch viel wichtiger ist, sind offene Netzwerke, bei denen die Akteure in erster Linie alles daran setzen, gemeinsam etwas zu bewegen.

meier: Und das nächste Barcamp. Schon in Planung?

Zumbruch: Das nächste Barcamp ist definitv schon in Planung und wird aller Wahrscheinlichkeit kurz nach der Langen Nacht der Museen in Mannheim stattfinden. Stay tuned!

Das von Nina Haas geführte Interview wurde in gekürzter Fassung in der meier-Ausgabe vom Februar 2010 veröffentlicht.